Der folgende Artikel wurde freundlicherweise vom Museum „Sam Cohen Bibliothek“/Gesellschaft für wissenschaftliche Entwicklung, Swapokmund/Namibia zur Verfügung gestellt. Erschienen im Heft 1/01, 33.Jahrgang.

 

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ZUM THEMA :

GESCHEHNISSE AM WATERBERG UM 1904

 

Um unsere Leser auf dem Laufenden zu halten in Bezug auf die neueste Geschichtsforschung zu den Geschehnissen am Waterberg um 1904, möchten wir hiermit Klaus Lorenz zitieren, der sich ausführlich aus in erster Linie militärischer Sicht - und das ist das Neue daran - mit diesem Thema befasste.

 

Im Folgenden nun einige Stellen aus einem von ihm knapp überarbeiteten Auszug aus seiner vom Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg angenommenen Hausarbeit im Rahmen des Magisterexamens zum Thema: "Die Rolle der Kaiserlichen Schutztruppe als Herrschaftsinstrument in Südwestafrika".

 

"Die deutsche Kolonialpolitik in Südwestafrika und mit ihr das Wirken der Kaiserlichen Schutztruppe stehen bereits in der zeitgenössischen politischen Diskussion und dann besonders in der jüngeren Historiographie seit den Ereignissen am Waterberg und in der Omaheke unter dem Verdikt des ersten

massenhaften Genocids in der deutschen Geschichte – am Volk der Herero.

 

Der Große Generalstab in Berlin und viel später darauf aufbauend Historiker der DDR, besonders Horst Drechsler, schufen die bis heute Historiographie und Journalismus beherrschende “Omahekelegende”. Nach dessen These soll die Schutztruppe nach einer Kesselschlacht am Waterberg, einem Hochplateau etwa 250 km nördlich von Windhuk, am 11. August 1904 die Masse des Hererovolkes durch planmäßige Operationsführung ohne eine Alternative des Entkommens in

die wasserlose Omaheke (Sandfeld) gehetzt haben, wo das ganze Volk an Hunger und Durst bis auf geringe Reste durch diesen Völkermord elend umgekommen sei.

 

An dieser These müssen Zweifel schon deswegen angemeldet werden, weil zeitgenössische Beschreibungen der Ethnie Herero Gewandtheit im diplomatischen Verkehr, mehr als gewöhnliche Denkschärfe, kluge Kapitäne (Führer) sowie herausragende soldatische Eigenschaften bescheinigen [1]....

Die Erklärung, daß sich der Aufstand ausschließlich gegen die deutsche Kolonialherrschaft mit der Zielsetzung eines etwas diffusen Freiheitsbegriffs gerichtet habe, reicht nicht aus. Sie berücksichtigt

nämlich nicht die politische und diplomatische Begabung der Führer der Herero. Für den Fall einer für das Volk negativen Entwicklung der Auseinandersetzung wurde schon frühzeitig (ab etwa April 1904) einepolitische Lösung mit britischer Unterstützung vorbereitet [2],[3]....

 

Als Ziel des Aufstands könnte durchaus angenommen werden:

 

-          nach erfolgreichem Vertreiben der Deutschen und Rückgewinn aller verlorenen Ländereien ein Leben in alter Freiheit unter britischem Protektorat; eine andere Lösung war wohl auch in der Beurteilung der Hereroim Zeitalter des Imperialismus nicht vorstellbar, oder :

-          bei Scheitern des Aufstands nach politischer Vorbereitung militärische Planung und Durchführung des Abzugs auf britisches Gebiet mit dortigem Asyl.

 

Welches waren dagegen die Ziele auf deutscher Seite? Dem Erfolg des deutschen Heeres in der Form der Schutztruppe kam in der Beurteilung des Gefechtswertes nicht nur innenpolitisch, sondern auch in den Augen der Großmächte erhebliche Bedeutung zu. Der Einsatz eines britischen Militärattachés erhärtet diese Interpretation, wobei dieser sicher auch die Nachbarn rechtzeitig vor einem Übergreifen des Aufstands auf deren Gebiet warnen sollte[4]. Die Entscheidung Wilhelms II., das Kommando dem bisherigen Schutztruppenkommandeur und Gouverneur Oberst Leutwein zu entziehen und diesem nur die Funktion des zivilen Gouverneurs zu belassen, so dessen zeitraubende aber politisch noch tragbare Lösung, das Volk militärisch zur Übergabe zu zwingen, zu verwerfen und dafür das Kommando dem General v. Trotha und die Oberleitung dem Großen Generalstab zu übertragen, nachdem die Schutztruppe unter dem Kommando Leutweins sogar Niederlagen gegen die Hererokrieger hatte hinnehmen müssen, zeigt, daß nach Auffassung Berlins der Nimbus der Armee auf dem Spiele stand, des wichtigsten Machtinstruments für die Integrität des Reichs. Wie ungeduldig Berlin in dieser Frage wurde, kann dem Brief eines Offiziers entnommen werden: “… und dabei schilt man auf uns in der Heimat wegen des langsamen Ganges der Dinge in Afrika."[5] Nachdem sich die Operationen ohne Herbeiführung einer Entscheidung festgelaufen hatten, mußte sich ein Versagen der Schutztruppe unter oberster Führung durch den bisher nahezu sakrosankten Generalstab außenpolitisch negativ auswirken.[6]

 

Das Ziel v. Trothas war es deshalb, nach Versammlung einigermaßen ausreichender Kräfte (ca. 1600 Mann Kampftruppen) sobald als möglich den kämpfenden Teil der Herero (ca. 5-6000 Mann) am Waterberg militärisch zu vernichten, die Überlebenden in Gefangenenlagern zu sammeln und so das

zahlenmäßig starke Volk (die Zahlen bewegen sich zwischen 35.000 und 60.000 Menschen) als Machtfaktor in Südwestafrika auszuschalten.[7]

 

Völkermord oder Kolonialkrieg im Zeitalter des Imperialismus?

Zu einer Gefangennahme des Gros der Herero[8] und einer dazu notwendigen völligen Einschließung hart ostwärts des Waterbergmassivs, wo sich die Kapitänschaften bei frischer Weide und stets guten Wasserverhältnissen ab Juni 1904 offenbar zur Verteidigung eingerichtet hatten, weil die Weide im

Raum Onjati-Berge-Otjosasu abgeweidet war, reichten die deutschen Kräfte von ca. 1600 Mann nicht aus[9]. Der “Entscheidungskampf am Waterberg”, wie das Generalstabswerk das Gefecht am 11. August 1904 nannte, endete für die Schutztruppe mit einer Niederlage:

 

-          Es gelang zwar durch konzentrischen Angriff von sechs Abteilungen von je etwa schwacher Bataillonsstärke gegen Flügel und Front der Herero diese auf engem Raum um die Wasserstellen von Hamakari zusammenzudrücken und denkämpfenden Teilen Verluste zuzufügen,

-          doch wurde das Ziel der Operation, “Vernichtung oder Übergabe der waffentragenden Herero”, nicht ereicht, da es den Herero gelang, durch angriffsweise Bindung zweier deutscher Abteilungen östlich und südöstlich des Waterbergs und unter Nutzung einer durch zwei Friktionen auf deutscherSeite entstandenen Lücke mit Herden und Familien auf der Pad Streitwolfscher Weg und auf dem Trockenflußbett Hamakaririvier mit Teilen nach Norden und mit Masse nach Südosten planmäßig abzuziehen und Handlungsfreiheit in Richtung auf das britische Betschuanaland zu gewinnen[10],

-          und die in allen Führungsvorschriften unabdingbar zur endgültigen Vernichtung des Gegners geforderte Verfolgung am 12. August 1904 wegen Erschöpfung der Truppe und Fehlens von Reserven nicht befohlen werden konnte; die dann einen Tag später angesetzte Verfolgung der abziehenden Herero mußte wegen Wasser- und Weidemangel schon am 14. August 1904 abgebrochen werden, so daß den Herero der planmäßige und zunächst auch weitgehend geordnete Rückzug in die Omaheke im Zuge der Trockenflussbette Eiseb und Epukiro in Richtung britischer Grenze gelang[11].

 

Die Herero, nicht die Schutztruppe hatten das Gesetz des Handelns an sich gerissen und entzogen sich planmäßig dem deutschen Zugriff in Räume, von denen sie annehmen konnten, daß die Schutztruppe aus Wasser- und Weidemangel und wegen Nachschubschwierigkeiten nicht folgen konnte.

Es sollten nun einige wichtige Einzelaspekte, die für eine zutreffende und die bisherige Historiographie hinterfragende Interpretation von Bedeutung sind, untersucht werden. Dies sind:

 

-          Die Operationsplanung v. Trothas und seines Stabes, besonders im Hinblick auf den Kräfteansatz und die Folgen,

-          Die politische und militärische Konzeption Samuel Mahareros und seiner Kapitäne sowie ihre Vorbereitung und Durchsetzung.

 

Dem Generalstabswerk ist zu entnehmen: “… entweder waren die Hereros entschlossen, den Entscheidungskampf (am Waterberg) um ihre Heimat anzunehmen, oder sie wanderten in Gebiete aus, in die ihnen die deutschen Waffen nicht zu folgen vermochten.

Für wenig wahrscheinlich wurde ein Abzug der Hereros in südöstlicher Richtung gehalten, da eine derartige Bewegung in das Durstgebiet der Omaheke führen mußte. Auf dieser Seite brauchten deshalb nur schwächere Kräfte eingesetzt werden. Sollten die Hereros indessen doch versuchen, hier

durchzubrechen, so mußte ein solcher Ausgang der deutschen Führung umso erwünschter sein, als der Feind dann freiwillig in sein Verderben rannte. Denn in dem wasserlosen Sandfeld mußte er verdursten.”[12] Das Zitat muß als Verschleierung, Zweckbehauptung und Rechtfertigung für die Niederlage v. Trothas am Waterberg gewertet werden:

 

-          Im sonst chronologisch aufgebauten Werk wird das Ende der Herero im Sandfeld schon als Möglichkeit erwähnt, obwohl Feindnachrichten nur über einen vermuteten Ausbruch ins Amboland vorlagen,

-          “Schwächere Kräfte” an dieser Stelle als Basis des Operationsplans v. Trothas und den Angriffsbefehl v. 4. August 1904[13] anzugeben ist sachlich falsch; im Gegenteil: das Generalstabswerk selbst führt nur einen Operationsplan an, welcher an der durch die dichte Dornbuschbewachsung einzig möglichen Durchbruchstelle nach Südosten in Richtung Omaheke im Zuge Hamakaririvier/Streitwolfscher Weg für Volk und Herden eine besonders starke deutsche Truppenkonzentration, also den Schwerpunkt, vorsah....

 

Im Gegensatz zur nachträglichen, rechtfertigenden Darstellung des Generalstabswerks, das genau an der einzig möglichen Durchbruchsstelle im Südosten “schwächere Kräfte” vorgesehen sah, obwohl “der General v. Trotha auf deren Sperrung durch die Abteilung Heyde mit Recht so großen Wert gelegt hatte”[14], waren in der wirklichen Planung des v. Trothaschen Generalstabs unter Einschluß der Abteilung Winkler und im Zusammenwirken Mueller/Heyde an entscheidender Stelle Kräfte in Stärke von ca. 520 Soldaten, 16 Artilleriegeschützen und 8 Maschinengewehren vorgesehen! Selbst bei Ausfall der Abt. Winkler konnten dort immer noch mehr als 400 Mann eingesetzt werden – wenn es zum geplanten Zusammenwirken kam!

 

Diese Planung macht deutlich, daß sich v. Trotha und sein Stab, anders als der mit der Verschleierung der Niederlage beauftragte Generalstabsoffizier in Berlin, in der Stunde der Entscheidung am Waterberg absolut klar darüber waren, daß  im Falle eines Durchbruchsversuchs der Herero die größte Gefahr im Südosten Richtung Omaheke drohte. Planmäßig und konsequent der Beurteilung der Lage entsprechend wurde daher im Schwerpunkt die stärkste Truppenkonzentration an dieser Stelle vorgesehen und nicht, wie Horst Drechsler angibt, vorsätzlich die schwächste Abteilung![15]

 

Darüber hinaus war der Führung in Berlin und in Afrika mit Sicherheit die Fähigkeit der Herero bekannt, im Zuge der Trockenflußbette Epukiro und Eiseb die Omaheke zwar unter schwierigen Bedingungen, doch durchaus erfolgreich zu durchqueren – mit Mensch und Vieh. Es ist völlig unwahrscheinlich, dass Hauptmann Kurd Schwabes Buch, das 1903 erschien, nicht vom Generalstab ausgewertet worden ist, worin diese Möglichkeit ausführlich dargestellt wurde[16]. Nach Helmut Bley war der Verwaltung des Schutzgebiets die Möglichkeit der Durchquerung der Omaheke bekannt[17]. Selbst das Generalstabswerk erwähnt diese Bewegungslinien in Richtung British Betchuanaland[18].

 

Der Abzug des Gegners aus seinen Stellungen am Waterberg mußte von der deutschen Führung verhindert und in erster Linie angestrebt werden, ihn dort zum Entscheidungskampf zu zwingen, “denn nur dann war auf eine schnelle und wirksame Beendigung des Feldzuges zu rechnen[19].”

 

Die deutsche Führung wollte das Aufschließen von Verstärkungen (dabei auch Abteilung Winkler!) abwarten und zog nach und nach die einzelnen Abteilungen an den Raum Waterberg heran; der vorzeitige Abzug der Herero in weide- und wasserreiche Gebiete, die außerhalb des Zugriffs der Schutztruppe lagen, mußte verhindert werden, denn der Abzug drohte ab Anfang August täglich, weil die Weide von den großen Viehherden in Kürze abgefressen sein würde[20]....

 

Nachdem Anfang August 1904 die letzten Verstärkungen (ohne Abteilung Winkler!) aufgeschlossen hatten, waren die Hererostämme am Waterberg unter Inkaufnahme weiträumiger Lücken mit sechs Abteilungen mit insgesamt ca. 1500 Mann umstellt[21]. Von einer Kesselschlacht à la Sedan konnte keine Rede sein. Am 4. August 1904 erteilte v. Trotha den Angriffsbefehl mit Vorbehalt des Angriffs-zeitpunkts[22]. Er enthielt in Zeitansatz und Kräfteverteilung folgenschwere Fehler:

 

-          Vermutlich verspäteter Einzelbefehl an Abteilung Winkler zum beschleunigten Aufschließen zur Abteilung v.d. Heyde, so daß sie am 11. August noch nicht mit dieser vereinigt war,

-          keine Zuteilung afrikanischer Kräfte zur bewährten Mischung mit Deutschen nach dem System des Obersten Leutwein ausgerechnet bei der neu zusammengestellten Abteilung v.d. Heyde im schwierigen Dornbuschgelände (Orientierungsprobleme, besonders bei Nacht!).[23]

 

Horst Drechsler interpretierte in der DDR-Geschichtsschreibung den auf der Operationsplanung basierenden Angriffsbefehl so: “Auch wenn man von militärischen Dingen gar nichts versteht, fällt auf, daß die sechs deutschen Gruppenabteilungen, die rings um den Waterberg verteilt waren, sehr unterschiedlich groß waren und daß die kleinste Abteilung unter Major v.d. Heyde südöstlich des Waterbergs stand. Da die bei weitem größte Abteilung unter Oberst Deimling die Herero bei Waterberg von Westen angreifen sollte, gehörte wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß  die Herero, denen der Weg nach Osten und Süden durch die relativ starken Abteilungen v. Estorff und Mueller versperrt war, die schwache Abteilung v.d. Heyde überrennen und nach Südosten durchbrechen würden … Es war aber nicht Unfähigkeit des Generals, die zu dieser Truppenaufstellung führte, sondern war wohldurchdacht, ja geplant, daß die Herero nach Südosten durchbrechen und in ihr Verhängnis laufen sollten[24].”

 

Dann zitiert Drechsler das Generalstabswerk als Quelle für diesen “Plan” und schreibt weiter: “Trotha kannte nur ein Ziel: Die Vernichtung der Herero. Dieses Ziel hoffte er am einfachsten zu erreichen, indem er die Herero in die Omaheke trieb. Ein solches Verbrechen kann man nur als Völkermord bezeichnen.[25]

Diese Interpretation des Operationsplans und des daraus resultierenden Angriffsbefehls ist nach der Quellenlage und nach dem Ergebnis der o.a. Überprüfung falsch, der Vorwurf des Völkermordes unzulässig:

 

-          Das Ziel v. Trothas war die Entscheidung am Waterberg durch Angriff[26], hätte er den Herero den Ausbruch und Abzug zur Omaheke ermöglichen wollen, um sie nicht militärisch, sondern durch Naturgewalt zu vernichten, hätte er die Defensive gewählt, so die erheblichen Verluste seiner Angriffsoperation vermieden und die entscheidenden Geländeteile an Pad und Rivier nur mit Spähtrupps besetzt, um zu erfahren, wann das ganze Volk abmarschiert war,

-          Drechslers These stützt sich vordergründig auf die Stärkeangabe (22/164) der Abteilung v.d. Heyde in der Truppeneinteilung für den Angriff[27], welche wie beschrieben nicht der Operationsplanung entsprach: durch Unterstellung der Abteilung Winkler und durch enges Zusammenwirken mit der Hauptabteilung Mueller (Flügel an Flügel) auf das gemeinsame Ziel Hamakari sollten an der befürchteten Ausbruchstelle über 500 Mann eingesetzt werden – mehr als bei der personell stärksten Abteilung Deimling. Damit ist nachgewiesen, daß von Trotha genau das Gegenteil der Interpretation und Behauptung Drechslers plante – nämlich durch Verhinderung des Ausbruchs nach Südosten die angestrebte Entscheidung herbeizuführen. Im Generalstabswerk hat der Bearbeiter in Berlin vermutlich versucht, durch Weglassen der Abteilung Winkler im Abschnitt v.d.Heyde einen Führungsfehler zu verschleiern.

 

Zum Komplex Völkermord stellen sich weitere Fragen:

 

-          Warum konnten die Herero mit den Teilen des Volkes, die sich am Waterberg befanden, die Kräfte der Schutztruppe bei der nachgewiesenen Planung mit Schwerpunkt im Südosten z.T. im Gegenangriff überrennend bzw. bindend durch eine Lücke stoßen und so die Freiheit des Handelns gewinnen und selbst planmäßig nach Südosten abziehen?

-          Warum brachen sie unter dem Kommando von Samuel Maharero dann in die Omaheke und mit Masse in Richtung auf britisches Gebiet aus? Warum wählten sie nicht den Weg ins Amboland oder, noch wirkungsvoller, wenn sie den Kampf fortsetzen wollten, nach Süden zur Vernichtung der deutschen logistischen Basis, was mit großer Wahrscheinlichkeit Operationen der Schutztruppe für absehbare Zeit vereitelt hätte?

 

Die politisch vorbereitete militärische Planung der Herero, aus der Umstellung am Waterberg nach Südosten in Richtung auf British Betchuanaland auszubrechen, wurde begünstigt durch die sich plötzlich während des Gefechts bietende Gelegenheit zur Ausnutzung einer Lücke zwischen den Abteilungen Mueller und v.d. Heyde im Südosten im Zuge des Streitwolfschen Weges und des Hamakaririviers. Diese Lücke war aber nicht durch Planung v. Trothas entstanden....

 

So kam die in Ziffer 5. des Angriffsbefehls beabsichtigte Schwerpunktbildung nicht zustande. Dagegen entstand die in deutschen Augen so verhängnisvolle Lücke, “auf deren frühzeitige Sperrung durch die

Abteilung v.d. Heyde der General v. Trotha mit Recht so großen Wert gelegt hatte[28].” Auch dieses Zitat bestätigt den Schwerpunkt an dieser Stelle.

 

Nach dem “Durchbruch” wandte sich offenbar die Masse des Volkes den Bewegungsstreifen durch die Omaheke zu, während Teile unbekannter Stärke unter Umgehung der Abteilung v. Estorff nach Norden ins Amboland (Herero von Okumbahe) und wieder andere Gruppen im Zuge des Omurambariviers bis ins wasser- und weidereiche Kaukaufeld gelangten[29]. Helmut Bley: “Den Herero

gelang der Durchbruch nach Osten. Ununterbrochene radikale Verfolgung zerstreute die aufgelösten Stämme[30].” Bley folgt auch hier Horst Drechsler, der den Deutschen vorwirft, die Herero in die Wüste getrieben zu haben, wobei nur ein verschwindend geringer Teil überlebt habe[31]. Um sein Ziel, die Vernichtung der Herero in der Omaheke zu erreichen, sei v. Trotha “den Herero sogleich nachgesetzt, wobei das oberste Ziel dieser Verfolgung die Vernichtung der Herero war[32].”

 

Diese Interpretationen sind falsch und können nicht belegt werden. Denn die beabsichtigte Verfolgung, in den deutschen Führungsvorschriften unabdingbar gefordert, mißlang schon im Ansatz. Die völlig erschöpfte Schutztruppe konnte gar nicht  “sogleich” angesetzt werden, von “ununterbrochener radikaler Verfolgung” ist in den Quellen nirgendwo die Rede. Nachdem die Truppe erst am 13. August 1904 angetreten war, mußte sie wegen Wassermangel und Versorgungsschwierigkeiten, um den totalen Zusammenbruch zu vermeiden unter Abbruch der Verfolgung erneut bis Hamakari zur Auffrischung zurückgenommen werden[33].

Das Generalstabswerk meldet den Beginn der eigentlichen Verfolgung für den 16. August 1904 – also erst vier Tage nach dem Gefecht! Daher konnte sich unter dem Schutz von Nachhuten das Volk mit Familien und Herden vom Feind lösen; die Schutztruppe verlor den Kontakt, die Herero konnten nicht erneut zu einem entscheidenden Gefecht gestellt werden[34]. Auf ihnen bekannten und vertrauten Wegen im Zuge des Eiseb-und Epukiroriviers konnten sie zur abschnittsweisen Durchquerung der Omaheke ansetzen (Kartenskizze 3). Gegen die These eines Hineinhetzens flüchtender Herero ohne Widerstandskraft in die Omaheke und für die These eines weitgehend planmäßigen Rückzugs in Richtung auf britisches Gebiet sprechen auch folgende Quellen:

 

-          Hauptmann Bayer, Generalstabsoffizier im Stabe Trothas, hatte während des mühsamen Nachziehens (statt Verfolgung!) der Schutztruppe den Eindruck, dass “die Herero nach gemeinsamem Plan in engen Haufen dem Sandfeld zustrebten” und “offenbar nach einheitlichem Plan zu ziehen schienen[35].”

-          Anwendung der typischen Kampfweise gut geführter Nachhuten:

-          Auflaufen lassen der nachfolgenden Deutschen, deren Kräfte letztlich nur noch aus schwachen Patrouillen bestanden mit dem Ziel, nach kurzem Feuerkampf auszuweichen, damit das deutsche Vorgehen zu verlangsamen und dem eigenen Volk zeitlichen und räumlichen Vorsprung zu verschaffen[36],

-          Erschweren des deutschen Vormarschs durch Inbrand setzen des verdorrten Steppengrases[37] sowie Verseuchen der spärlichen Wasserstellen durch totes Vieh (Typhusgefahr!)[38].

-          Diese Kampfführung gehörte zum militärischen Plan zur Durchquerung der Omaheke mit dem Ziel, Asyl in British Betchuanaland zu erhalten, welchen die Herero für den Fall zu großen Drucks durch die Schutztruppe politisch vorbereitet und abgesichert hatten....

 

Diese Route durch die Omaheke zum Ngamisee in das britische Betschuanaland wurde nach den Quellen schon vor 1903[39] außerhalb der Regenzeit von Hererogruppen unbekannter Stärke genutzt, um ebenso wie die Händler mit ihren Herden durch die wasser- und weidearmen Gebiete der Omaheke in das fruchtbare Land am Ngamisee zu gelangen; benutzt wurden die Trockenflussbette des Epukiro und des Eiseb bis in Gegend Wasserstelle und Station Rietfontein-Nord, um dann der Groot Laagte ins Bel Valley bis zum Ziel zu folgen. Walter Nuhns Auswertung britischer und südafrikanischer Quellen ergab weitere Wege von Hererogruppen auf britisches Gebiet[40].

 

Das Ende der Omahekelegende

 

Zusammenfassend muß festgestellt werden, daß entgegen den Thesen Horst Drechslers und anderer die Masse der Herero von Waterberg aus nach sorgfältiger politischer Vorbereitung und genauem militärischem Plan bewusst den Weg durch die Omaheke wählte, kalkulierend, daß ihnen die Schutztruppe mit ihrer Abhängigkeit vom Nachschub nur schwer zu folgen vermochte. Dabei gingen ihre Führer, wohlwissend um die problematische Wasserversorgung für die Menschen und die großen Viehherden sowie für die Schwächeren und Nachfolgenden, bewußt ein hohes Risiko ein. Es besteht kein Zweifel, daß die Hererostämme, die sich zum Teil im Bereiche der Omaheke und deren Nachbargebiete mit Überlebensmöglichkeit bis zur Regenzeit oder über die britische Grenze zurückzogen, große Verluste an Menschen und Besitz erlitten hatten, dazu geben viele Stellen im Generalstabswerk Auskunft. Hinzu kommen die Verluste als Folge der verbrecherischen Kriegführung v. Trothas ab Oktober 1904 und besonders in den Gefangenenlagern....

 

Im September 1904 war v. Trotha wohl endgültig klargeworden, daß er sowohl am Waterberg als auch mit seinem Versuch, die Herero nochmals vor oder in der Omaheke zur Entscheidung zu stellen[41], gescheitert war und er seinen Auftrag nicht mehr erfüllen konnte. “Der Versuch, den Feind erneut zum Kampf zu stellen, hatte keinen Erfolg gehabt", meldet das Generalstabswerk für Anfang September 1904[42]. Jetzt erst, da er erkannte, daß er gescheitert war und seine Operationen mit den völlig erschöpften Soldaten nur noch sinnloser Aktivismus gegen auf deutschem Gebiet verbliebene kleine Gruppen, meist Nichtkombattanten, war, griff v. Trotha zu absolut rechtswidrigen, verbrecherischen Befehlen und Maßnahmen[43]. Das Volk der Herero als Ganzes konnte er mit dem berüchtigten “Schießbefehl” nicht mehr treffen – es war ein Schlag ins Leere.

 

Waterberg und Omaheke 1904 aber sind wie nachgewiesen nicht erster massenhafter Genocid in der deutschen Geschichte, kein Völkermord; das Geschehen ist ein Beispiel für Kolonialkriegführung der europäischen Kolonialmächte im Zeitalter des Imperialismus."



[1]  Dove, S.42 f; Theodor Leutwein, Elf Jahre Gouverneur in Deutsch-Südwestafrika, Berlin 1907, S. 310; Generalstabswerk, S. 19, 128; Kurd Schwabe, Dienst und Kriegsführung in den Kolonien und auf überseeischen Expeditionen, Berlin 1903, S.5

[2]Generalstabswerk, S.24; Gerhard Pool, Die herero-opstand, o.O..o.J., S.128/129, zit. nach ders., Samuel Maharero, Gamsberg 1991, S. 202 f. 

[3] Generalstabswerk, S.24; Gerhard Pool, Die herero-opstand, o.O..o.J., S.128/129, zit. nach ders., Samuel Maharero, Gamsberg 1991, S. 202 f. 

[4] Hauptmann M. Bayer, Mit dem Hauptquartier in Südwest-Afrika, Berlin 1909, S.264/269 (im folg zit. Bayer).

[5] Generalsstabswerk, S. 152

[6] ebenda, S. 59-110.

[7]  Helmut Bley, Kolonialherrschaft und Sozialstruktur in Deutsch-Südwestafrika 1894-1914, Hamburg 1968, S. 203 (im folg. Zit. Bley) und Generalstabswerk, S. 132/133

[8] Generalstabswerk, Skizze 9 und Bayer, S.135.

[9] Bayer, S. 139 und Generalstabswerk, S. 134.

[10] Generalstabswerk, S. 156-184; Bayer, S.138-139, 144 ff.

[11] Generalstabswerk, S. 185-189 mit Skizze 8; Bayer, S. 156-169. 

[12] Generalstabswerk, S. 132; aufgegriffen von Drechsler, S. 78.

[13] Generalstabswerk, S. 152-157. 

[14] Generalstabswerk, S.189

[15] Drechsler, S. 77f, Generalstabswerk, S.132.

[16] Kurd Schwabe, Mit Schwert und Pflug in Deutsch-Südwestafrika, Berlin 1904 (im folg. zit. Schwabe).

[17] Bley, S. 168

[18] Generalstabswerk, S. 123 und dazu Bayer, S.134 in Beurteilung der Lage zur Abmarschrichtung. 

[19] Generalstabswerk, S. 133 

[20] Bayer, S. 130, 132.

[21] Generalstabswerk, S.145-152 und Skizze 9.

[22] Generalstabswerk, S.152-157.

[23] Generalstabswerk, S. 149 und 157; dazu auch Bayer, S.74-76, 113, 236. 

[24] Drechsler, S. 77 f.

[25] ebenda und Generalstabswerk, S. 132.

[26] Generalstabswerk, S.133

[27] ebenda, S. 157

[28] Generalstabswerk, S. 174 ff; 189.

[29] Ebenda, S.212; Drechsler, S.96; Walter Nuhn, Sturm über Südwest, S.293 ff.

[30] Bley, S. 203

[31] Drechsler, S.95.

[32] ebenda, S.78 f.

[33] Generalstabswerk, S. 185-188; Bayer, S. 167-169.

[34] Generalstabswerk, S. 195

[35] Bayer, S. 157, 174.

[36] Otto Mueller, Land und Leute in Deutsch-Südwestafrika, in: Walter Beckmann, Unsere Kolonien und Schutztruppen, Berlin 1934, S.130 ff und Generalstabswerk, S. 195, 198, 200.

[37] Bayer, S.180

[38] Müller, S. 133 und Generalstabswerk, S. 203. 

[39] Bley, S.168 mit Anm. 202

[40] Nuhn, S. 290 –297.

[41] Bayer, S. 194-197

[42] Generalstabswerk, S. 195 

[43] Gunter Spraul, Der Völkermord an den Herero, Untersuchungen zu einer neuen Kontinuitätstheorie, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 39, 1988, Quellenanhang.


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