Dr. phil. h.c. Joachim Friedrich von Pfeil und Klein-Ellguth
Großherzoglich-Sächsischer Kammerherr

Joachim Graf Pfeil wurde geboren am 30. Dezember 1857 in dem kleinen Kreisstädtchen Neurode in der Grafschaft Glatz als Sohn des dortigen Königlichen Landrats Graf Valerian Friedrich Viktor von Pfeil (Rittmeister im 4. Landwehr-Husaren-Regiment) und seiner Gemahlin Antonie, einer geborenen Gräfin Breßler. Nach dem Tode von zwei älteren Brüdern war er der älteste von 5 weiteren Brüdern und einer Schwester.

Doch nur bis zu seinem 10. Lebensjahre dauerte der Aufenthalt in dem schönen Glatzer Lande, dem immer sein freundliches und treues Gedenken galt; dann verlegten seine Eltern infolge Versetzung des Vaters ihren Wohnsitz nach Göttingen, dessen Gymnasium nun zur Bildungsstätte für den jungen Grafen wurde.

In Göttingen lebte die Familie in einer Dienstwohnung; Vater Valerian war hier preußischer Kreishauptmann und Polizeidirektor. Es war dieselbe Wohnung, in der 50 Jahre früher Carl Friedrich Gauß lebte.

Am Göttinger Gymnasium fand er in einem seiner Lehrer, dem Geheimrat Marks, einen verständnis- und liebevollen Pädagogen, der die Eigenart seines jungen Schülers und seine ausgeprägte Begabung für Geografie und Völkerkunde erkannte und sie durch Anregungen und Hinweise auf Werke berühmter Forscher wie Livingstone, Humboldt, Rohlfs u.a., zielbewusst pflegte, als hätte er geahnt, welche Bedeutung gerade diese Studien für das Leben des jungen Grafen haben sollten. Denn diese Studien waren es, die ihn neben seinem frühzeitigen Drange nach selbstständigem Wirken und Schaffen veranlassten, schon in seinem 17. Lebensjahre die Heimat zu verlassen und in die weite Welt zu gehen. Er schloss sich einer Schar von Missionaren und Missionsgehilfen der Hermannsburger Mission an, die damals gerade nach Südafrika, dem Haupttätigkeitsgebiete dieser Gesellschaft, ausgesandt wurde.

Dieser Zeit gedenkt Graf Pfeil in seinen Werken mit besonderer Dankbarkeit:

„Die Neigung (zu naturwissenschaftlichen Studien) wurde geweckt durch einen alten Herrn, den Geheimrat Marks, der mich während meiner Gymnasiastenzeit in Göttingen mit seiner Aufmerksamkeit beehrte. Als ein weitläufiger Verwandter des berühmten (Afrikaforscher) Gerhard Rohlfs erzählte er mir viel von dessen damals gerade Aufsehen erregenden Taten und Reisen. Er konnte mir allerdings nicht voraussagen, dass ich dereinst mit diesem bedeutenden Manne in engste Beziehungen treten werde. Die Anregung des alten Herrn, vielleicht enthielt sie einen Zusatz pädagogischer Absicht, wies mich auf die Lektüre von Reisebeschreibungen und naturwissenschaftlichen Werken, soweit mir solche verständlich waren. Mit der Wahllosigkeit des Schülers begeisterte ich mich für mehrere Bücher, die mir in die Hände fielen, darunter Andersens Reisen in Südwestafrika und Baldwins Jagdabenteuer. Mit feiner Direktive lieh mir Geheimrat Marks die Reisebeschreibung der Brüder Forsters, der Begleiter Cooks und die Skizzen der Natur von Humboldt. Ich empfand den höchsten Genuss, als meine lebhafte Fantasie mir die Länder und Gebiete, die jene Forscher der Kulturwelt erschlossen, die zu diesem Zweck geleistete wissenschaftliche Arbeit, die erlittenen Gefahren und erlebten Abenteuer mit plastischer Deutlichkeit vormalte. Die Erinnerungen an die Leistungen jener Männer, an die Lektüre ihrer Werke, wurde mir zu jener Zeit besonders dadurch wachgerufen, dass damals die ersten Nachrichten über Stanleys Erfolge im Innersten Afrikas als flüchtige Zeitungsnotizen uns erreichten.“

In Südafrika begann für ihn, den Jüngling, in einer Zeit, wo die meisten seiner Altersgenossen noch im Schutze des Elternhauses weilten, ein hartes Ringen und Kämpfen mit dem Leben. Und nur die angeborene Tatenfreudigkeit und die Spannkraft der Jugend ließ in ale Hindernisse und Enttäuschungen überwinden. Dass ihm dabei auch der Humor ein nicht zu unterschätzender Bundesgenosse geworden ist, das beweist sein Werk, in dem er von dieser Zeit berichtet. „ Ein bewegtes Leben “ (Herm. Costenoble, Jena), so hat er es genannt und der deutschen Jugend gewidmet. Was er da erlebt hat als Farmer und Viehzüchter, im Verkehr mit Kaffern und Buren, den Einwohnern von Natal und dem damaligen Oranjefreistaat, an Abenteuern und Wagnissen aller Art, alles das gleitet in bunten Bildern an dem Leser vorüber.

Das Ölgemälde, dem dieses Bild nachempfunden ist, hing, neben anderen Gemälden, bis 1945 im Friedersdorfer Schloß und ist seit dem verschollen.

Der junge Graf hat es wohl selbst erst viel später eingesehen, welche Bedeutung gerade die hartdurchkämpften Jünglingsjahre für ihn haben sollten, die er in Südafrika zugebracht hat. Hier hat er die reichen Gaben seines Geistes ausgebildet, hier sich vertraut gemacht mit Land und Leuten Afrikas, hier die Erfahrungen gesammelt, die ihn hernach befähigten, mit einzutreten in die Reihen der Männer, deren Namen unzertrennlich verbunden sind mit der Geschichte deutscher Kolonisation. Es kamen die Jahre 1880/84. Deutschland hatte nach den Einheitskriegen wirtschaftlich einen ungeahnten Aufschwung genommen, der das junge Reich mehr und mehr in weltpolitische Bahnen drängte. Stimmen wurden laut, die die Notwendigkeit von Kolonien für die mächtig emporblühende deutsche Wirtschaft betrafen, ohne allerdings zunächst auf viel Verständnis zu stoßen. Der junge Graf Pfeil im fernen Südafrika, der verstand sie sofort und erkannte die grundlegende Bedeutung dieser Bewegung. Wusste er doch aus eigener Anschauung durch 10 Jahre hindurch, die er in englischen Kolonien mit offenen Augen zugebracht hatte, dass Weltpolitik ohne weitblickende Kolonisationstätigkeit, wie sie England seit langem zielbewusst trieb, zum Scheitern verurteilt sein musste. Und er hielt sich nicht lange mit Erwägungen auf, sondern schritt gleich auf eigene Faust zur Tat: Seine erste Forschungsreise galt der Feststellung, inwieweit Südafrika noch deutscher Kolonisation fruchtbringende Aussichten bieten könne. Sie führte in kreuz und quer durch das Land bis an die Kalaharisteppe, ließ ihn jedoch erkennen, dass Britanniens Einfluss schon zu sehr gefestigt war, als dass deutsche Bemühungen Aussicht auf Erfolg gehabt hätten. So entschloss er sich wiederum in raschem Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren. Hier fand er bereits in den gleichen Bahnen arbeitende Männer, die sich in der deutschen Kolonialgesellschaft zusammengeschlossen hatten, der er nun, als Kenner weiter afrikanischer Gebiete doppelt willkommen beitrat. Seine Lebensarbeit begann: Schon im September 1884 ging eine Expedition der Gesellschaft unter seiner, Dr. Karl Peters und Dr. Karl Jühlkes Führung auf seinen Vorschlag hin nach der Küste Ostafrikas, gegenüber der Insel Sansibar, und noch im selben Jahre gelang es diesen Männern, die wichtigsten Landstriche an dieser Küste zu erwerben und damit den Anfang für den Erwerb unserer größten und bedeutendsten Kolonie, Deutsch-Ostafrika, zu machen. Es ist hier nicht der Platz, eingehend über die unendlichen Schwierigkeiten dieser Reise, die Mühsalen tropischen Klimas, das kluge Verhandeln mit den eingeborenen Häuptlingen, bei dem Graf Pfeils südafrikanische Erfahrungen unschätzbare Dienst leisteten, zu berichten. Wer darüber näheres erfahren will, der lese in seinen Werken, besonders in dem Buche: „ Zur Erwerbung von Deutsch-Ostafrika “ ( Berlin 1907, C. Curtius ) nach. Es genügt darauf hinzuweisen, dass Graf Pfeil unermüdlich das einmal gesteckte Ziel, möglichst viel Land für Deutschland zu erwerben, verfolgte, dass er, als seine beiden Gefährten Anfang 1885 nach Deutschland zurückkehrten, um nach diesen glücklichen Anfängen für den Kolonisationsgedanken zu werben, willig den schwierigeren Teil der Aufgabe auf sich nahm. Er setzte in hartem Kampfe mit der afrikanischen Wildnis und ihren Gefahren seine Forschungs- und Eroberungsreisen fort, drang als erster Europäer am Rufijifluß vor und erwarb dabei das wichtige Chutu im Hinterlande der Küste. Als er dann 1886 nach Deutschland zurückkehrte, musste er erkennen, dass er nicht nur den schwereren, sondern auch den undankbareren Teil der Aufgabe übernommen hatte. Schwere Enttäuschungen und Missverständnisse sind ihm nicht erspart geblieben. Er hat sie ertragen als vornehmer und großer Charakter. Und erntete gar mancher, wo er gesät, was tat das, wenn nur das Hauptziel erreicht wurde. „ Das Vaterland hat den Nutzen, folglich ist das Ziel erreicht “ , so schreibt er in einem seiner Werke. Diese schlichte Hintenanstellung der eigenen Person um des großen Ganzen willen, soll ihm unvergessen bleiben.

(Siehe hierzu auch: „ Dr. Karl Peters und Graf Pfeil “ )

Im Dezember 1886 kehrte nach Ostafrika zurück, um die Stelle des von Eingeborenen ermordeten Dr. Jühlkes zu übernehmen; die Generalvertretung der Deutschen-Ostafrikanischen Gesellschaft für die Somaliländer.

Das Jahr 1887 brachte für ihn ein neues Arbeitsgebiet. Er war aus den Diensten der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft in die der Neuguinea-Kompagnie übergetreten, die ihn nach dem Bismarck-Archipel sandte. Eines seiner bedeutendsten Werke ( „ Studien und Beobachtungen aus der Südsee “ , Braunschweig 1899 ) berichtet aus dieser Zeit. Durch die Feinheit und Gründlichkeit der Beobachtung, durch ihr sorgfältiges Eingehen auf alle Eigenarten und Entwicklungsmöglichkeiten der Südseeinseln, besonders von Neupommern und seiner Bewohner, der Kanaken, haben diese Studien wesentlich zur Kenntnis und zur Erschließung dieser Kolonien beigetragen. Bescheiden tritt bei allen Schilderungen die Person des Verfassers zurück; aber gerade sie verraten, welch unermüdlicher Forscherdrang, welche Kühnheit und Verachtung der Gefahr ihn bei allen seinen Studien begleitet haben. Er überquerte als erster Europäer die zu Neupommern gehörige Gazellenhalbinsel und überschritt an 4 Stellen den Gebirgsrücken von Neumecklenburg.

Zu dem oben genannten Buch heißt es in einer Ankündigung des Verlages u.a.: „ Das vorliegende Werk dürfte zur Zeit das einzige sein, welches in umfassender Weise den Bismarckarchipel und seine Bewohner schildert. In das Gedankenreich der letzteren ist der Verfasser bemüht gewesen einzudringen, ihre Lebensweise, soweit sie dem Reisenden äußerlich sichtbar wird, hat er genau beobachtet und ausführlich geschildert. ...“ Dieses 322 Seiten umfassende Buch war dem Großherzog von Weimar gewidmet.

1889 und 1890 bereiste er, immer als scharfer Beobachter, Australien, Java, Indien, letzteres im Auftrage der deutschen Kolonialverwaltung, um britische Kolonisationsmethoden zu studieren.

Gertrud Leo auf einem Gemälde
Auch dieses Gemälde hing bis 1945 im Friedersdorfer Schloss und gilt seitdem verschollen.

 

1890 heiratete er Gertrud Leo, die Tochter des Sheakespeare-Forschers Prof. Dr. F. A. Leo. Bereits 1891 starb diese jedoch bei der Geburt der Zwillinge Toni und Fritz. (Toni starb sehr früh, sein Bruder Fritz 1918 als Offizier.)

1891 durchreiste er Deutsch-Südwestafrika vom Kaplande aus, auf diese neuerworbene Kolonie auf ihre Besiedlungsmöglichkeiten zu untersuchen, und vermochte durch seine reichen Erfahrungen wertvolle Ratschläge zu geben. Dann kehrte er in seine Heimat Schlesien zurück, wo er 1895 in der Freifrau Anna von Minutoli auf Schloss Friedersdorf am Queis eine verständnisvolle und treue Lebensgefährtin fand, um aber in ihrer Begleitung bald wieder neue Reisen aufzunehmen. Sie führten ihn nach dem Balkan, nach Ägypten, Arabien, Deutsch-Ostafrika, wo er eine Plantage besaß, dann nach Marokko, ja bis nach Mexiko und Nordamerika. Sein Hauptinteresse aber wandte sich in dieser Zeit Marokko zu, das er vier mal zum Gegenstande eingehender geografischer und kolonialer Studien machte. Sein dauernder Hinweis auf die Wichtigkeit dieses nordafrikanischen Landstriches, der durch seine überaus günstige Lage an zwei Weltmeeren und durch sein Klima hervorragend geeignet zu Kolonialisationszwecken ist ( vergl. Seine Broschüre: „Warum brauchen wir Marokko?“ 1904), wurden von den maßgebenden Stellen im Deutschen Reiche leider nicht beachtet, und die berüchtigte Marokkokonferenz vom Jahre 1911 brachte den endgültigen Verzicht aller deutschen Bemühungen zur Erwerbung Marokkos.

Die Forschungsergebnisse aller seiner Reisen hat Graf Pfeil in zahlreichen Büchern und Broschüren und unzähligen Aufsätzen in Fachzeitschriften und Zeitungen niedergelegt und damit die deutsche Wissenschaft bereichert. Unermüdlich und unverdrossen wirkte er auch durch Vorträge, die er in fast allen größeren deutschen Städten hielt, immer getrieben von dem einen Gedanken, das Interesse für Kolonisation und damit für eine entschiedene Weltpolitik in Deutschland zu erwecken und wachzuhalten. Es hat bei manchen Enttäuschungen doch nicht an Anerkennung für seine reche Tätigkeit gefehlt. Die philosophische Fakultät der alt-ehrwürdigen Universität Jena, deren Hörer in Geologie, Geografie und Nationalökonomie er in den Jahren 1903/04 war, ernannte ihn 1904 zu ihrem Ehrendoktor; in- und ausländische Geografische und Kolonialgesellschaften trugen ihm die Ehrenmitgliedschaft an; auch aus Fürstenhand wurde ihm manche Anerkennung seiner Verdienst zuteil. Aber alle diese Ehrungen hätte er willig hingegeben, wenn er nicht mit hätte ansehen brauchen, dass Deutschland alles das, was er in seinem Lebenswerke mit hatte schaffen helfen, verlor im Zusammenbruch von 1918.

Im 1. Weltkrieg übernahm er eine Professorenstelle für Geografie, Deutsch und Literaturgeschichte am französischen Gymnasium in Berlin um so lieber, als er ein großer Freund der Jugend war.

Joachim von Pfeil mit seiner Frau Anna am Hofe des Großherzogs von Sachsen-Weimar, um 1900

Dr. phil. h.c. Joachim Friedrich Graf von Pfeil und Klein-Ellguth starb am 12. März 1924 auf Schloss Friedersdorf am Queis, Kreis Lauban.
Fotos von seiner Grabstätte befinden sich in dem ausführlichen Bericht von Jürgen von Pfeil.

Quelle:
http://www.langenbielau.de/Seite1/Friedersdorf_am_Queis/friedersdorf_am_queis.html
Autor: Jürgen Graf von Pfeil u. Klein-Ellguth